Michael Brie: Die Linke macht sich überflüssig

nd.DerTag 23.02.2023
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Michael Brie, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung, schreibt heute, 23.2.2023, in seinem Kommentar im „nd“

Eine Partei macht sich überflüssig

 Die Linke-Führung stellt sich mit einer unentschlossenen, defensiven Haltung zu den Antikriegs-Protesten ins Abseits, meint Michael Brie. Ein Sonderparteitag sollte einen Neuanfang ermöglichen. Der Vorstand der Partei Die Linke gibt sich die größte Mühe, den Bürgerinnen und Bürgern deutlich zu machen, dass diese Partei nicht gebraucht wird. In einem Augenblick, da 575 000 Menschen ein »Manifest für den Frieden« unterschrieben hatten und die erste wirkliche Großdemonstration gegen den Kurs der Unterstützung des Krieges in der Ukraine mit immer neuen Waffenlieferungen vorbereitet wird, war der Vorstand unfähig zu eindeutiger Mobilisierung für diese Demonstration. Der Bundesgeschäftsführer der Partei erklärte die Ablehnung einer klaren Unterstützung dieser Demonstration so: »Ganz konkret fehlt uns in dem Aufruf die klare Abgrenzung nach rechts, die nämlich augenblicklich dazu führt, dass namhafte Nazis und rechte Organisationen diesen Aufruf unterstützen und massiv zu der Demo am 25. mobilisieren.« Statt dazu beizutragen, dass die breite gesellschaftliche und politische Linke diese Demonstration dominiert – mit vielen roten Fahnen und mit Ordnungskräften, die entsprechend den Vorgaben durch die Initiatorinnen Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht das Zeigen rechtsextremer Symbole unterbinden –, wird Abstinenz ausgerufen und Zerstreuung in viele kleine, weitgehend wirkungslose Aktionen empfohlen.

Während die Stimmung in der Gesellschaft endlich kippt, immer mehr Menschen erkennen, dass das Morden ein Ende haben muss durch sofortigen Waffenstillstand, Verhandlungen, Kompromisse auf der Basis der Anerkennung der gegenteiligen Interessen, die zu diesem furchtbaren Krieg im Zentrum Osteuropas geführt haben – exakt in diesem Augenblick verlagert der Linke-Vorstand den Schwerpunkt auf ein Nebenfeld: Wie verhindert man, dass auch nur ein einziger Rechtsextremer an diesem Tag in die Nähe des Brandenburger Tors kommt. Das ist schlicht unmöglich. Man arbeitet so denen in die Hände, die die Bewegung gegen den Kriegs- und Aufrüstungskurs zerstören wollen. Bisher wurde jede mahnende Stimme, Verhandlungen ins Zentrum zu rücken, als »Putin-Versteher« gebrandmarkt; jetzt rückt man sie in die Nähe zur extremen Rechten und die Führung der Linken macht dabei mit.

Die Partei Die Linke selbst war nicht in der Lage, zu Demonstrationen in einem »heißen Herbst« wirkungsvoll zu mobilisieren. Es blieb bei wenigen Ansätzen. Ihre Kundgebungen mit Bezug auf die Politik der Bundesregierung in der Kriegsfrage blieben marginal. Von den Initiatorinnen einer wirklichen Großdemonstration dagegen werden immer neue Abgrenzungen nach rechts gefordert, dabei hatte Sahra Wagenknecht von Anfang an erklärt, dass es die Rechte ist, die durch eigene Mobilisierung die Friedensdemonstration diffamieren will: »Wir haben mit der Auswahl unserer Erstunterzeichner deutlich gemacht, mit wem wir zusammenarbeiten und von wem wir uns Unterstützung erhoffen – und von wem eben auch nicht.« Mit dem Beschluss vom vergangenen Wochenende lässt sich der Linke-Vorstand die Tagesordnung von den Regierungsparteien und der Rechten diktieren, statt entschlossen dafür zu kämpfen, dass eine breite demokratische Friedensbewegung entsteht, in der die Linkspartei gebraucht wird.

Große gesellschaftliche Bewegungen sind, siehe auch die historischen Kämpfe gegen den Nato-Doppelbeschluss oder gegen den Irak-Krieg, nicht in sozialistischer Reinform zu haben. Sie sind groß, weil sie zugleich heterogen und in einer einzigen Frage geeint sind. Dadurch verändern sie die Politik – durch Breite, klare Richtung und Punktgenauigkeit. Dies alles hat das »Manifest für den Frieden«. Gegen Unterwanderung aus dem rechtsextremen Lager helfen vor allem eigene Stärke und Präsenz sowie Auseinandersetzung vor Ort. Der Linke-Vorstand will vor allem den eigenen, schrumpfenden Laden zusammenhalten und treibt ihn so in die Bedeutungslosigkeit.

Ein Jahr lang hat Die Linke ihre Funktion als Partei gesellschaftswirksamer Friedenspolitik nicht überzeugend erfüllt. Immer wurde aus der Defensive argumentiert. Nur zögerlich wurde der Ton gegenüber der Regierungspolitik kritischer. Im Augenblick aber, wo die Bürgerinnen und Bürger Die Linke fragen: »Wie haltet Ihr es mit uns, wenn wir endlich den Protest gegen den Kurs der Bundesregierung auf die Straße tragen?«, schreckt die Führung der Linken zurück und demobilisiert.

Der jüngste Vorstandsbeschluss ist der bisher letzte Punkt des Versagens dieser Partei als politische Kraft. Es wird Zeit, dass Die Linke offen darüber berät, ob sie in ihrer Mehrheit diesen Kurs noch zu tragen bereit ist. Es wird Zeit für einen Sonderparteitag. Zwei Mal, 1989 wie 2003, hat dies einen Neubeginn ermöglicht. Es bedarf nur 25 Prozent der Delegierten des im Juni 2022 zusammengetretenen Parteitags, um die Einberufung eines solchen Parteitages zu erzwingen. Es reichen auch Landes- und Kreisverbände, die zusammen ein Viertel der Mitglieder, also rund 15 000, vertreten. Der Kampf um die Partei Die Linke gehört auf die offene Bühne und es muss entschieden werden, ob es beim Weiter-so auf dem Weg ins Abseits bleibt oder die Partei sich ihrer historischen Verantwortung stellt. Es gibt Tage der Entscheidung. Werden sie verpasst, ist jede Chance auf einen Neuanfang vertan.

Der Philosoph Michael Brie ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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Den Wind in den Haaren spüren – Iran und die Rechte von Frauen

Ein aktualisierter Blick zum Internationalen Frauentag

FORUM Volkshochschule im Museum am Neumarkt

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18:30 – 20:30 Uhr

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 Der 8. März und die proletarische Frauenbewegung

Am Beispiel von Paula Thiede – mit Uwe Fuhrmann

Die Entstehung des Internationalen Frauentages im Jahr 1911 ist eng mit der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung verwoben. An diesem Abend werfen wir einen Blick auf die bemerkenswerten – und bis heute verschütteten – Erfolge der sozialistischen Frauen in Gewerkschaften und Sozialdemokratie. Die Lebensumstände, unter denen diese Kämpfe im deutschen Kaiserreich ausgefochten werden mussten, konkretisieren sich am Leben von Paula Thiede. Sie war die erste weibliche Vorsitzende einer gemischtgeschlechtlichen Gewerkschaft und begründete 1910 in Kopenhagen den Frauentag mit.

Uwe Fuhrmann ist Historiker. Er redet, lehrt, forscht und schreibt – meistens zu der Geschichte von Arbeitskämpfen und Gewerkschaften in Deutschland. Dieser Fixpunkt ist mal offensichtlich („Feminismus in der frühen Gewerkschaftsbewegung“, transcript Verlag, 2021), und mal erst auf den zweiten Blick zu erkennen („Die Entstehung der ‚Sozialen Marktwirtschaft‘ 1949/1949“, UVK 2017).

Eine Veranstaltung der Volkshochschule Köln, der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW, des Kölner Frauengeschichtsvereins und des Kölner Friedensbildungswerks.

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21.03.2023, 19:30 – 21:00 Uhr (nicht 23.3.!!)

Wofür steht DIE LINKE?

Diskussion mit Michael Brie und Kathrin Vogler

Bürgerzentrum Ehrenfeld (BüZE) (Nicht allerweltshaus!!!)
Venloer Straße 429
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„Es gibt einen schreienden Widerspruch zwischen dem Potenzial für linke politische Kräfte und dem, was die Partei DIE LINKE… erreicht“, stellt Michael Brie in einem im nd veröffentlichten Beitrag fest. Die Linke versuche, es allen recht zu machen, doch damit verliert sie an Überzeugungskraft, sagt er, denn gerade „in stürmischen Zeiten kann man klaren Positionierungen nicht ausweichen.“ Als Beispiele führt er die Haltung der Linken zu Migration und Flucht, zu den Lockdowns in der Pandemie und schließlich zum Krieg Russlands gegen die Ukraine an. Die von Brie vorgeschlagenen Positionen sind nicht nur in der linken Partei umstritten. Umso notwendiger ist es, darüber zu diskutieren, anstatt sie vorschnell zu etikettieren.

Wie kann die Linkspartei das linke Potential auch über ihre – zerstrittenen – Reihen hinaus mobilisieren? Vor dieser Aufgabe steht Kathrin Vogler als deren Sprecherin in Nordrhein-Westfalen.

Darüber diskutieren Michael Brie, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung, und Kathrin Vogler, MdB, Linksfraktion und Sprecherin der LINKEN NRW, miteinander – und natürlich mit Ihnen und Euch.

Eine Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW

22. März 2023

Mein Israel und ich – entlang der Road 90: Mit ZDF-Korrespondentin Nicola Albrecht

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22.03.2023, 19:00 – 20:30 Uhr

20.4.2023 (18-20.30)

Wirtschaftskrisen und Klimakatastrophe: Ist Planwirtschaft die Lösung?

Moderation: Felix Wemheuer (Universität zu Köln, Autor von „Marktsozialismus“ 2021)

Kommentar: Dr. Nadja Rakowitz (RLS) (Politologin, Autorin von „Einfache Warenproduktion“, car ira 2003)

Inputs: Guenther Sandleben (Ökonom, Autor von „Gesellschaft nach dem Geld“, papyrossa 2022), Philip Broistedt (Aktivist, Herausgeber vom „Planwirtschaft“, promedia Wien 2022), Dieter Klein (RLS) (Autor von „Regulation in einer solidarischen Gesellschaft: Wie eine sozial-ökologische Transformation funktionieren könnte“, Hamburg 2022)

Lange galt Planwirtschaft als Ursache für das ökonomische Scheitern des Staatssozialismus. Die gegenwärtigen ökonomischen Krisen, die Notwendigkeit des ökologischen Umbaus für den Kampf gegen den Klimawandel und der Einsatz von Big Data bei Planung in multinationalen Großunternehmen haben jedoch wieder neue Debatten um die Notwendigkeit von Planwirtschaft entfacht. Nicht nur in der Linken, sondern auch teilweise in der Mainstream-Presse wird diskutiert wie ein „Cybersozialismus“ oder „Ökosozialismus“ aussehen könnte. Ist vor dem Hintergrund der Klimakrise Planung nach Bedürfnissen überhaupt sinnvoll oder ist eine strenge Rationierung von Ressourcen nötig? Wie könnte heute eine Planwirtschaft gestaltet sei, die nicht die Fehler des „Realsozialismus“ wiederholt? Können Computer eine Planung der Produktion on demand ermöglichen? Ist es sinnvoll, Geld und Warenproduktion zu ersetzen durch Arbeitszeitrechnung? Wie kann eine bedarfsorientierte Versorgung im Gesundheitswesen und der Care-Ökonomie organisiert werden? Welchen Beitrag könnte Planwirtschaft nur Überwindung klassischer geschlechtlicher Arbeitsteilung leisten? Diese Fragen sollen kontrovers diskutiert werden, um einen Beitrag zur Debatte um eine post-kapitalistische Gesellschaft zu leisten.